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"Die Titel meiner diesbezüglichen Arbeiten wie auch einige Doktorarbeiten zeigen die von mir als einzigen deutschen Vererbungsforscher bearbeitete lamarckistisch gerichtete Fragestellung meiner Vererbungsversuche" (Heinz Dotterweich)

Hochschulen und Universitäten standen in der Zeit des Nationalsozialismus unter dem Einfluss des Reichswissenschaftsministeriums und somit der politischen Führung. In dieser Zeit war es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, eine Tätigkeit in Forschung und Lehre auszuüben, wenn nicht zumindest über die Mitgliedschaft in Partei und Dozentenbund der Anschein einer politischen Zugehörigkeit gewahrt werden konnte.

Für Heinz Dotterweich, dessen Leidenschaft die Wissenschaft und Lehre war und der eine junge Familie zu versorgen hatte, war es letztendlich eine pragmatische Entscheidung, sich nicht den politischen Zwängen im Hochschulbetrieb zu widersetzen, um seine Tätigkeit weiter ausüben zu können.

Nach Entlassung aus dem Hochschuldienst 1935/1936 sah sich Heinz Dotterweich gezwungen, in die NSDAP einzutreten.  Daraufhin wurde ihm zumindest eine vorübergehende Weiterbeschäftigung eingeräumt mit der dringenden Empfehlung, sich eine andere Tätigkeit zu suchen.

Die politischen Instanzen sahen Heinz Dotterweich kritisch, weil er entgegen der NS-Rassenlehre den Lamarckismus (wurde in der NS-Zeit als links und sozialistisch eingestuft) vertrat und sich experimentell mit der „Vererbung erworbener Eigenschaften“ beschäftigte. Dies machte er im Rahmen der damaligen Möglichkeiten auch in seinem 1940 erschienenen Buch „Das biologische Gleichgewicht“ deutlich. In der „Zeitschrift für Rassenkunde“ wurde der lamarckistische Ansatz des Buches öffentlich benannt und kritisiert. Bezogen auf den Lamarckismus findet sich in der Zeitung auch die Formulierung : "Es ist aber bedauerlich, dass gegenüber dem Lamarckismus nicht die heute einzig mögliche Haltung eingenommen wird, d.h. völlige Ablehnung.“ (Quelle: Zeitung für Rassenkunde, Jahrgang 1941, 12. Band).

Hier wird öffentlich dokumentiert, dass seine Forschungsarbeit und seine Meinung über die Vererbungslehre der vorgegebenen Rassenlehre widersprach, eine Parteimitgliedschaft nicht zwingend der persönlichen politischen Haltung entsprechen musste und Heinz Dotterweich politisch nicht linientreu war.

In einem persönlichen Fragebogen, der auch im Archiv der Hochschule Dresden vorliegt, schrieb Heinz Dotterweich: „In dem Maße, wie die politische Propaganda das lamarckistische Erklärungsprinzip immer dogmatischer ablehnte und eine wissenschaftliche Beschäftigung hiermit vom Rassenpolitischen Amt verboten wurde, befasste ich mich um so intensiver mit Experimenten über Erblichkeit umweltbedingter bzw. erworbener Anpassungen." 

"Die Titel meiner diesbezüglichen Arbeiten wie auch einige Doktorarbeiten zeigen die von mir als einzigen deutschen Vererbungsforscher bearbeitete lamarckistisch gerichtete Fragestellung meiner Vererbungsversuche.“

Heinz Dotterweich wurde in der NS-Zeit wiederholt eine Beendigung des Anstellungsverhältnisses angedroht. Vermutlich wurde er nur deshalb nicht endgültig aus dem Hochschuldienst entfernt, weil er erforschen sollte, ob Angorawolle eine Alternative zu der schwer verfügbaren Schafwolle sein konnte. Daran war im Rahmen der intensiven Ersatzstoffforschung mit dem Ziel vorhandene Rohstoffe zu nutzen und somit möglichst autark zu sein, der Reichsforschungsrat interessiert. 

Das Buch „Das biologische Gleichgewicht“ ist noch heute in einigen Bibliotheken einsehbar und auch antiquarisch im Internet erhältlich. Die Zeitschrift für Rassenkunde ist ebenfalls in Bibliotheken einsehbar. Der lamarckistische Hintergrund kann somit nachvollzogen werden. Deshalb ist es verwunderlich, dass sich die meisten Autoren von Internetartikeln über Heinz Dotterweich mit dem  Abschreiben anderer Quellen begnügen, dabei neben der Mitgliedschaft in Partei und Dozentenbund auch das Buch "Das biologische Gleichgewicht" erwähnen, ohne allerdings auch nur ansatzweise die Zusammenhänge und Widersprüche zu erkennen und darzustellen. Somit entsteht in den Artikeln durch das Weglassen wesentlicher Fakten ein falscher Gesamteindruck.

Ähnliches gilt auch für eine Broschüre, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Forscher in der NS-Zeit an der Hochschule Dresden "mitgemacht" haben. Dies ist um so erstaunlicher, als zur Erstellung der Broschüre u.a. das Archiv der Hochschule Dresden genutzt wurde, in dem auch Dokumente vorhanden sind, die den Eindruck des willfährigen Mitläufers relativieren. Die Tatsache, dass Heinz Dotterweich, wie auch viele andere Wissenschaftler, nicht als selbständiger Wissenschaftler sich der Forschung für die Nazis verschrieben hat, sondern die Aufträge ihrer Vorgesetzten und somit der Hochschule ausführten, kommt in dieser Broschüre ebenfalls zu kurz.

Es wird dort angeführt, dass Wissenschaftler von besseren Karrierechancen durch die Forschung im Bereich Rüstung oder Autarkie profitiert haben (Heinz Dotterweich hat nicht an Waffensystemen geforscht, sondern im Bereich Angorawolle als Ersatz für kaum verfügbare Schafwolle). Es wurde aber leider versäumt, darauf hinzuweisen, dass dies im Fall von Heinz Dotterweich ganz offensichtlich nicht der Fall war. ​Denn während es Beispiele gibt, in denen linientreue Forscher mit Titeln und Posten bedacht wurden, die nicht im Verhältnis zur akademischen  Ausbildung standen, wurden Heinz Dotterweich sämtliche üblichen Bedingungen verwehrt. Er hat ein Institut geleitet, die Bezüge eine Assistenten erhalten und keine verbeamtete Professorenstelle bekommen. Dies macht die Zerrissenheit der politischen Entscheidungsträger deutlich, die auf die Forschungsarbeit von Heinz Dotterweich nicht verzichten, ihn aber auch nicht adäquat behandeln wollten.

Wegen kritischer Äußerungen in seinen Vorlesungen über die NS-Rassenlehre sollte auf Veranlassung des Reichsstatthalters Mutschmann eine Bestrafung dadurch erfolgen, dass Heinz Dotterweich binnen zwei Tagen der Wehrmacht überstellt werden sollte. Diese Maßnahme wurde nicht umgesetzt, da Heinz Dotterweich wegen seiner Forschungsarbeit im Bereich der Angorawolle vom Reichsforschungsrat sichergestellt war. Diese Sicherstellung war üblich in allen aus staatlicher Sicht wichtigen Forschungseinrichtungen.

Dazu kann noch ergänzt werden, dass diese Einberufung zur Armee in einer Zeit erfolgte, als die politische Führung es für den weiteren Kriegsverlauf inzwischen für notwendig hielt, die Forschung auf vielen Gebieten zu intensivieren. Dies sollte nicht nur durch Aufstockung der Forschungsetats, sondern auch durch die Abberufung von rund 2000 Wissenschaftlern aus der Armee sichergestellt werden, damit diese wieder der Forschung zur Verfügung standen. Somit widersprach die Einberufung von Heinz Dotterweich der übergeordneten politischen Vorgabe. Die Einberufung wurde nicht vollzogen, da sie nicht legitimiert war. Hier hatte der Reichsstatthalter schlicht seine Kompetenz überschritten. Es war somit kein persönliches Wohlwollen gegenüber Heinz Dotterweich und keine plötzliche Freistellung durch den Reichsnährstand.

Heinz Dotterweich hat die Zusammenhänge in einem Lebenslauf beschrieben, den er im August 1945 zusammen mit dem Fragebogen bei der Landesverwaltung Sachsen eingereicht hat. Dieser Lebenslauf liegt auch im Archiv der TU Dresden vor.

Der Lebenslauf  kann hier als in Privatbesitz befindliche Ausführung eingesehen werden:

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