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Durch Verordnung der Landesverwaltung vom 01.11.1945 wurde Heinz Dotterweich mit der Errichtung und Leitung eines „Instituts für Fleckfieberforschung“ zwecks Entwicklung eines Impfstoffes beauftragt.

Am 15.11.1945 wurde er wegen Parteizugehörigkeit auf Veranlassung der Landesverwaltung Sachsen aus dem Hochschuldienst entlassen.

8 Mitarbeiter und Studenten, die der NSDAP nicht angehört hatten, gaben damals eine eidesstattliche Erklärung ab, dass Heinz Dotterweich auch in Vorlesungen und Übungen seine antifaschistische Einstellung deutlich zum Ausdruck gebracht hat und mit seiner offen vertretenen lamarckistischen Sichtweise (siehe auch sein Buch "Das biologische Gleichgewicht) der nationalsozialistischen Rassenlehre widersprochen hat. Es war der Versuch, die verantwortlichen Gremien zur Rücknahme der Kündigung zu bewegen, diese ließen sich aber nicht umstimmen. Vermutlich waren zu dem Zeitpunkt nicht nur rationale Beweggründe entscheidend. Nach erneuter Prüfung wurde mit Schreiben der Landesverwaltung Sachsen vom 11.12.1945 die Entlassung aus dem Hochschuldienst bekräftigt.

 

Vorliegender Schriftverkehr beschreibt die Widersprüche der Entscheidungen. Mit der Entlassung aus dem Hochschuldienst durfte Heinz Dotterweich das Zoologische Institut nicht mehr betreten. Die Landesverwaltung hatte aber gleichzeitig verfügt, dass das gerade von Heinz Dotterweich gegründete Institut zur Fleckfieberforschung vorübergehend im Zoologischen Institut untergebracht werden sollte. Am 15.11.1945 bat die Landesverwaltung Sachsen dringend, auch unter Berufung auf den zuständigen russischen Major, Heinz Dotterweich die benötigten Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Die Fleckfieberforschung hatte für die Behörden und die russische Besatzungsmacht eine große Bedeutung. Mit Fortschreiten der Entwicklung des Impfstoffes wurde Heinz Dotterweich immer interessanter für die russische Besatzungsmacht. Die Alliierten hatten sich darauf verständigt, dass die Arbeitskraft deutscher Spezialisten als eine von mehreren Arten von Reparationsleistungen dienen sollte. In der russischen Besatzungszone wurde davon reger Gebrauch gemacht. Dabei wurden die Wissenschaftler oft nachts verhaftet und teilweise mit ihren Familien nach Russland deportiert.

Heinz Dotterweich bekam einen Tipp aus dem Gesundheitsamt, dass seine Verhaftung unmittelbar bevorstünde. Er verließ noch in der selben Nacht seine Familie und die Stadt Dresden. Er stellte sich im Lager Friedland unter den Schutz der britischen Alliierten und entging somit auch der „Aktion Ossawakim“ (eine sowjetische Geheimoperation, bei der am 22.10.1946 circa 2500 ausgewählte Wissenschaftler und Familienangehörige in den frühen Morgenstunden verschleppt wurden).

Aus der Zeit, als er Untersuchungen in Zuchtbetrieben an Angorawolle vornahm, war ihm ein Züchter in Resse bei Hannover bekannt, der ihm angeboten hatte, dass er dort Zuflucht bekommen könne. Dorthin ging Heinz Dotterweich. Seine Frau Dorothea und Tochter Ursula besuchten ihn dort in den folgenden zwei Jahren. Die Grenze war noch durchlässig.

Dorothea war kein Parteimitglied gewesen und arbeitete in Dresden weiter als Lehrerin. Allerdings häuften sich die Besuche der Volkspolizei, die auf der Suche nach Heinz Dotterweich war. Dorothea hatte stets angegeben, dass sie und ihr Ehemann sich getrennt hätten.

Im Sommer 1947 flohen dann Dorothea und Ursula aus Dresden nach Resse. In dieser Zeit waren Flüchtlinge aus den Ostgebieten nicht überall gerne gesehen. In Resse beklagte man sich gerne mit den Worten: „Die Kartoffelkäfer, die Maul- und Klauenseuche und die Flüchtlinge werden wir nie wieder los!“.

1948 beantragte Heinz Dotterweich Förderungen für sein Institut und bewarb sich für eine Lehrtätigkeit. Beides wurde durch das niedersächsische Kultusministerium 1949 abgelehnt. Seine berufliche Lage war perspektivlos. Weil ihm während der NS-Zeit aus politischen Gründen eine beamtete Professur verweigert wurde hatte er auch keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Diese Zeit beschreibt seine Tochter Ursula in ihren Aufzeichnungen:

"Natürlich waren wir erst einmal froh, wieder beieinander zu sein. Aber wie sollte sich unsere Existenz gestalten? Mein Vater hatte versucht, ein Forschungsinstitut zu gründen, um weiterhin Angorawolle zu untersuchen. (...) Tatsächlich schickten einige Züchter ihre Proben, die meine Mutter dann unter dem Mikroskop untersuchte. Aber als Familie konnten wir davon nicht leben."

 

"Zusätzlich zur Geldnot kamen die Schikanen des Hofpächters bzw. seiner Familie. Hatten wir kein Geld, den Strom zu bezahlen wurde er einfach abgeschaltet. Wie sollten wir nun kochen, wenn die kleine Kriegskochplatte mit der elektrischen Spirale nicht mehr lief?"

 

"In einer so schwierigen Lebenslage wiegen unfreundliche Worte doppelt, sie zementieren ja noch die Hoffnungslosigkeit. Auch mein Vater bekam das immer wieder zu spüren. In der Tierärztlichen Hochschule (Hannover) ließen sich die Kollegen verleugnen. Man hatte wohl Angst, er könne sich irgendwo hineindrängen, in Wirklichkeit suchte er nur mal ein Gespräch auf kollegialer Ebene. Seine Wege und seine Eingaben beim Kultusministerium hatten ebenfalls keinen Erfolg. "Sie vermehren uns hier nur die Aktenarbeit" war die Auskunft eines Angestellten. Am 13. Juli hatte sich dann alles für meinen Vater so konzentriert, daß er keinen Hoffnungsschimmer mehr sah und der festen Meinung war, ohne ihn kämen wir vielleicht besser durch. Als er nachmittags das Haus verließ, ahnte ich nichts, aber meine Mutter war voller Unruhe."

 

"Ein Arzt musste den Tod feststellen und schämte sich nicht, von meiner Mutter dafür 20 Mark zu verlangen. Wir hatten kein Geld im Haus, durften aber den Betrag monatlich mit 5 Mark abstottern."

 

"Das ganze Dorf nahm Anteil an der Beerdigung, die Neugier war groß. Der Pfarrer kannte als Schlesier die Diskriminierung der Flüchtlinge. Kein Dorfbewohner kam zu ihm in die Kirche. So nahm er kein Blatt vor den Mund und warf den Dorfbewohnern ihre Hartherzigkeit vor. Wie musste ich da an unsere glücklichen Zeiten in Dresden denken. Was hatte dieser Krieg alles angerichtet. Am Friedhofstor blieb die Gemeinde stehen. Selbstmörder hatten keinen Anspruch auf ein Grab bzw. eine Grabrede innerhalb des Friedhofes. So standen meine Mutter und ich sehr allein und verlassen mit dem Pfarrer am Grab.“

Dorothea und Ursula lebten mangels Alternativen noch einige Zeit in Resse. 1955 bekam Dorothea in Hannover eine Anstellung als Lehrerin und ihr wurde eine Wohnung im Stadtteil List am Bonifatiusplatz vermittelt. Dort lebte Thea bis 1974, danach zog sie nach Bad Nenndorf.  Ursula wohnte bis zu ihrer Heirat 1959 bei ihr. Dorothea reiste ab 1955 regelmäßig nach Dresden, um die Familie ihres Mannes zu besuchen. 1975 starb sie nach kurzer schwerer Krankheit. Sie wurde in Resse im Grab Ihres Mannes beigesetzt.

Die Tochter Ursula verließ 1949 vorzeitig die Sophienschule in Hannover,

um ihrer Mutter zu helfen, den gemeinsamen Lebensunterhalt zu verdienen.

Nach der Arbeit besuchte sie eine kaufmännische Handelsschule und

belegte einen Kurs für Maschineschreiben und Steno. Sie war als Sekretärin

in verschieden Bereichen tätig, u. a. an der Universität Hannover, wo sie ihren

späteren Ehemann kennenlernte. Am interessantesten war für sie ihre Tätigkeit

in den 1980er Jahren als Chefsekretärin in einem hannoverschen Krankenhaus. 

Die Verbindung zu ihrer Heimatstadt Dresden riss nie ab. Seit dem Tod ihrer Mutter war Ursula mit ihren Kindern regelmäßig zu Besuch bei der Familie Ihres Vaters in Dresden-Neustadt. Seit Anfang der 1990er Jahre verbrachte sie viel Zeit in ihrer geliebten Heimatstadt und hatte auch wieder regen Kontakt mit der ehemaligen Sekretärin ihres Vaters und zu ihren Schulfreundinnen. Ursula starb am 23.11.2020 nach kurzer schwerer Krankheit und hat ihre letzte Ruhe in Dresden gefunden.

Ursula 1933-2020

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