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Textpassagen aus Tagebüchern, die Heinz Dotterweich als Schüler im Alter von  fast 18 Jahren geschrieben hat und die seinen beruflichen Werdegang bereits vorzeichnen. Herauszulesen ist der starke Wille, zu forschen und Forschungsergebnisse zu veröffentlichen und somit der Menschheit etwas zu hinterlassen.

Tagebucheintrag vom 24.08.1922:

"Mehr denn je ist es mir zum Bewusstsein gekommen, daß ich mein Leben ganz und gar derjenigen Wissenschaft widmen muß, die ich von ganzer Seele liebe, und für die ich schon seit meiner frühen Jugend schwärme. Ein innerer Drang führt mich dazu! Alles andere kommt erst in zweiter Linie.

 

Wenn ich vielleicht auch in den letzten Jahren auf mein künftiges Ziel zusteuere, so gut dies in meiner Macht liegt, so ist doch auch nicht zu verkennen, daß schon ganz instinktiv, noch ehe sich mein Ziel in voller Klarheit zeigte, als es noch im Nebel lag, aber doch schon von sich ausstrahlte, bei mir sich alle Kraft auf dieses eine mein Lebensziel zu konzentrieren schien. Alles, was nur irgendwie Beziehung dazu hatte, von dem ich merkte, das es mir einmal nützlich sein könnte, wurde begierig aufgenommen. Das andere, was mir weniger nützlich schien, wurde zwar auch beachtet und verwertet, aber dementsprechend nebensächlich behandelt.

 

Es gibt Menschen, die daran Befriedigung finden, alle Wissenschaft der Welt in allen ihren komplizierten Verbindungen in sich aufzunehmen. Manche von denen tun dies allerdings nicht, um sich innerlich zu befriedigen, sondern sie wollen nur glänzen vor ihren Mitmenschen. Solches Wissen ist aber nie tief und unerschöpflich in einer Sache, sondern das stellt meistens nur einen äußeren verdeckenden Schein der inneren Hohlheit dar. Daß ich solches verwerfe, ist bald überflüssig niederzuschreiben.

 

Doch der wahre Wissensdurst, wie ich ihn oben schilderte, ist unbedingt anerkennenswert. Trotz alledem genügt mir das noch nicht, ich will weiter! Neues will ich! Eigentlich kommt es mir manchmal sogar etwas banal vor, wenn ein wissender Kopf über eine gewisse Sache die genaueste Auskunft geben kann, wenn er alles, was menschliche Wissenschaft darüber schon zusammengebracht hat, auspackt. Mir macht es manchmal den Eindruck eines Automaten oder eines Speichers. Wie gesagt, diese Dolmetscherleistung genügt mir nicht!

Neues Wissen möchte ich bringen! Im ganzen Grunde: ich will Kulturfortschritt! Nun sei das nicht so verstanden, als ob mir der Kulturfortschritt ganz angenehm wäre und es ganz vorteilhaft sein könne, denselben in einer Entwicklung zu verfolgen. Nein!, ich selbst, ich meine eigene Person hat den festen Willen dazu, mitzuhelfen. Ich selbst will die menschliche Kultur einen Schritt vorwärts bringen, durch meine eigene Arbeit will ich die Menschheit fördern.

 

Doch wie fange ich das an? Ganz im Kleinen will ich beginnen, umso größer soll das Werk wachsen. Natürlich habe ich den größten Teil meines Lebens auf meine Fachwissenschaft zu verwenden, auf die Biologie. Wie ich im einzelnen die verschiedenen Probleme in Angriff nehmen wollte, oder vielmehr die Reihenfolge derselben, darüber dachte ich Anfang Juni d. J. so, wie ich es in meinem Notizbuch in Stichworten kurz angemerkt. Ich gebe den Wortlaut hier wieder:

"[Einige Gedanken! Biologie! Zoologie: spezielle Zoologie: Monographien und anderweitige Beiträge, nach allen Gesichtspunkten gedreht und gewendet.

 

Allgemeine Zoologie: Einzelne und umfassende Bearbeitung der Verhandlung Probleme. (Fortpflanzung, Transplantation, Vererbung, Variation usw. usw. ...)

Biologie: Behandlungen, die teils auf der allgemeinen Zoologie beruhen, die aber im ganzen für alles organische Leben gültig sind: (Allgemeine Biologie) Deszendenztheorie, Genetik, Entwicklungsmechanik. [Quantitative Gesetze! Kausale Behandlung [kausale Biologie, der übergeordnete Begriff der Entwicklungsmechanik als kausale Morphologie, ] Experimentelle Biologie! Biologie und die anderen Wissenschaften!]Von der Biologie aus betrachtete allgemeine Naturphilosophie. [Grundlagen für die Philosophie] Weltanschauungen vom Standpunkt der Biologie aus betrachtet und kritisiert. Anwendung der Biologie: kosmologische (biologische) Perspektive. Soziologie, Politik, Kunst, etc. etc. am 18.VI.1922.]"

 

Vor allem ist mein Ziel innerhalb der Biologie, diese Wissenschaft vom Leben auf gleiche Stufe zu erheben wie Physik und Chemie. Das haben allerdings schon viele versucht. Ohnehin muß schon ein gewisses Alter einer Wissenschaft erreicht werden. Dennoch will auch ich es versuchen, die Biologie zu einer "exakten" Wissenschaft im wahren Sinne des Wortes zu erheben, damit auch sie einst zu den exakten Naturwissenschaften gerechnet werde. Bis dahin ist allerdings noch ein langer, dornenvoller Weg! So muß neben den Methoden auch die Mathematik genügend zur spezifischen Anwendung kommen. In gewissem Grade exakt kann man die jetzige erst zwei Jahrzehnte alte Vererbungslehre bezeichnen. Was die Mechanik in der Physik, das bedeutet die Genetik in der Biologie. Die jetzige Vererbungslehre bildet die Grundlage aller künftigen Biologie! Noch einige Wochen früher als die oben zitierte Notiz, schrieb ich u. a. auch folgendes in mein Notizbuch:

"Mein Ziel: Einführung der Mathematik in die Biologie. Auffindung von Gesetzen (qualitativ und quantitativ [bes. wichtig!]). Exakte Biologie. Experiment als Hilfsmittel (als hauptsächlichstes!) zur Auffindung von Gesetzen! Erst in zweiter Linie descriptive Methode. Experimentelle Biologie. Allgemeine Biologie. Schnellster Weg zur Erreichung von Ergebnissen für die allgemeine Biologie: Experimentelle Methode: kann liegen auf dem Gebiete der Morphologie (Entwicklungsmechanik) und Physiologie (Genetik)".

Aus der Vererbungslehre ergeben sich schon jetzt ziemlich weitgehende Folgerungen für das Wohl der Menschheit. Einst wird sich alles vorher berechnen lassen! Und auf dem Gebiete der Vererbungslehre ist es teils schon geschehen und wird noch im richtigen Maße nach weiteren Ergebnissen getan werden können. Auch dazu will ich beitragen. Also die Vererbungslehre ist sozusagen mein "Spezialfach", aber ohne die übrigen biologischen Probleme aus dem Auge zu verlieren. Diese sollen ja erst mit neu bereiteter Grundlage neu aufgefaßt werden.

 

Und darauf die naturphilosophischen, die philosophischen Probleme. - Um nochmals kurz zusammenzufassen: Für den Kulturfortschritt, der letzten Endes durch meine Spezialarbeit zu meinem Fachgebiet und weiter in der ganzen Biologie bedingt wird, will ich mein Leben einsetzen. Wieweit ich etwas erreiche, das wird die Zukunft zeigen, aber ein edles, hehres und würdiges Ziel ist es doch!"

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